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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.08.2005
Aktenzeichen: 1 Bs 258/05
Rechtsgebiete: HmbSG


Vorschriften:

HmbSG § 42
HmbSG § 87
§ 42 Abs. 4 HmbSG i.d.F. vom 28. April 2005 verleiht einen Anspruch auf Aufnahme in die Wunschschule sofern deren Aufnahmekapazität nicht überschritten ist oder aus schulorganisatorischen Gründen keine Umschulung in die gleiche Klasse einer gleichartigen Schule möglich ist. Die Aufnahmekapazität ist regelmäßig nicht überschritten, wenn die Klassenstärke die Organisationsfrequenz um nicht mehr als 10% überschreitet (§ 87 Abs. 1 HmbSG).
HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT 1. Senat Beschluss

1 Bs 258/05

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld und E.-O. Schulz sowie die Richterin Huusmann am 29. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 12. August 2005 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Tochter der Antragsteller besuchte im Schuljahr 2004/2005 die Grundschule. Sie wurde von den Antragstellern mit dem Erstwunsch für die 5. Klasse der Julius-Leber-Gesamtschule in Eidelstedt angemeldet. Die Antragsgegnerin lehnte die Aufnahme der Tochter in die Julius-Leber-Gesamtschule ab, da die Aufnahmekapazität der Schule um 70 Anmeldungen überschritten sei. Bei der Auswahl der aufzunehmenden Schülerinnen und Schülern habe sie sich an der natürlichen Grenze der südlich der Schule gelegenen Autobahn orientiert. Die Antragsteller und ihre Tochter wohnten südlich dieser Grenze. Von den dort wohnenden Schülerinnen und Schülern seien keine in die Julius-Leber-Gesamtschule aufgenommen worden. Die räumlichen Verhältnisse der Schule hätten es nur zugelassen, sechs Klassen der Jahrgangsstufe 5 einzurichten. Die Integrationsklasse sei mit 22 Schülerinnen und Schülern, drei Regelklassen mit 29 und zwei Regelklassen mit 28 Schülerinnen und Schülern organisiert worden. Die Schule habe ein aufwendiges Auswahlverfahren durchgeführt und sich im Wesentlichen an der Länge des Schulweges der Kinder orientiert. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Tochter ......... bis zu einer Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache auf der Julius-Leber-Gesamtschule ab Beginn des neuen Schuljahres im August 2005 zu beschulen, stattgegeben.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg. Im Ergebnis zutreffend hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, die Tochter der Antragsteller in die 5. Klasse der Julius-Leber-Schule für das Schuljahr 2005/2006 aufzunehmen.

Der materiellrechtliche Anspruch ergibt sich aus § 42 Abs. 4 HmbSG i.d.F. des 5. Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes vom 28. April 2005 (HmbGVBl S. 151). Nach dieser Vorschrift ist bei Anmeldung von Schülerinnen und Schülern anzugeben, an welcher Schule das Kind nach Möglichkeit aufgenommen werden soll; es sollen Zweit- und Drittwünsche für den Fall erschöpfter Kapazitäten genannt werden. Übersteigt die Zahl der Anmeldungen für eine Schule deren Aufnahmefähigkeit, werden Schülerinnen und Schüler in anderen Schulen aufgenommen. Dies verdeutlicht, dass dem Aufnahmewunsch und damit der Wahl der Wunschschule nach Möglichkeit entsprochen und das Elternrecht nicht auf die bloße Äußerung von Wünschen reduziert werden soll. Nur für den Fall erschöpfter Kapazitäten soll die Schülerin auf den Zweit- oder Drittwunsch verwiesen werden können. Erst wenn die Zahl der Anmeldungen für eine Schule deren Aufnahmefähigkeit übersteigt, erfolgt nach dem Wortlaut des § 42 Abs. 4 Satz 2 HmbSG eine Aufnahme in anderen Schulen und muss mithin der Wunsch zurückstehen, in eine bestimmte Schule aufgenommen zu werden.

Dementsprechend erlaubt auch § 42 Abs. 4 Satz 4 HmbSG es der zuständigen Behörde nicht ohne weiteres, Schülerinnen und Schüler in die gleiche Klasse einer gleichartigen Schule umzuschulen. Vielmehr hat die Antragsgegnerin diese Befugnis nur, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür, nämlich schulorganisatorische Gründe vorliegen. Damit schafft § 42 Abs. 4 HmbSG in Ausfüllung des § 1 Satz 4 HmbSG über das Recht auf Wahl der Schulform in § 42 Abs. 3 HmbSG hinaus einen Anspruch auf Aufnahme in die Wunschschule. Dieser findet seine Grenzen in der Aufnahmefähigkeit der Schule und der Befugnis, Schülerinnen und Schüler aus schulorganisatorischen Gründen umzuschulen sowie erforderlichenfalls ein Auswahlverfahren durchzuführen. Der Aufnahmeanspruch ist nicht von vornherein auf ein Recht auf eine ermessensfehlerfreie Auswahl beschränkt. Ferner können ihn besondere Regelungen wie die des § 10 Abs. 3 Satz 2 HmbSG über das Versuchsprogramm für den spanisch-sprachigen Zweig einer Grundschule (vgl. dazu OVG Hamburg, Beschl. vom 27. Juli 2005 - 1 Bs 205/05 - begrenzen. Nach diesen Grundsätzen ist hier voraussichtlich ein Aufnahmeanspruch gegeben.

a) Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass die Kapazität für die Aufnahme der Tochter der Antragsteller an die Julius-Leber-Gesamtschule nicht erschöpft war. Die Aufnahmefähigkeit einer Schule bemisst sich nach § 87 Abs. 1 HmbSG i.d.F. des 4. Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes vom 28. Dezember 2004 (HmbGVBl S. 533). Dort ist bestimmt:

"Die Basisfrequenz bestimmt die Schülerzahl einer Klasse, die zur Erteilung des Grundunterrichts nach der Stundentafel mit den der Schule zur Verfügung stehenden Lehrkräften erforderlich ist. Die Organisationsfrequenz bestimmt die Schülerzahl, die regelmäßig zur Bildung von Eingangsklassen erforderlich ist. Werden in eine Klasse zusätzliche Schülerinnen und Schüler aufgenommen, soll diese Schülerzahl nicht um mehr als 10 vom Hundert überschritten werden. Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Organisationsfrequenzen festzulegen."

Nach § 1 Abs. 1 der Verordnung über Organisationsfrequenzen an allgemeinbildenden Schulen vom 23. Juni 2005 (HmbGVBl S. 246) beträgt die Organisationsfrequenz für die Bildung von Eingangsklassen für die Jahrgangsstufen 5 an integrierten und kooperativen Gesamtschulen 26. Nach den Vorgaben für die Klassenbildung im Schuljahr 2004/2005 hat das Sekretariat der zuständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland vom 21. Dezember 2004 beträgt die Basisfrequenz für die Gesamtschule in Hamburg für die Klassenstufen 5 und 6 24 Schüler je Klasse. Damit sind als Minimum für eine Basisversorgung mit Unterricht für eine Eingangsklasse an der Julius-Leber-Schule 24 Schüler erforderlich. Eingerichtet werden sollen Eingangsklassen an der Schule allerdings erst dann, wenn 26 Schüler dort beschult werden. Bis zu 10 vom Hundert kann diese Zahl überschritten werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei rechnerischen Ergebnissen mit Kommastellen kaufmännisch gerundet wird (vgl. die Begründung zu § 87 Abs. 1 des Entwurfes zum 4. Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes, BüDrs 18/525 S. 11). Aus dem Umstand, dass § 87 Abs. 1 Satz 3 HmbSG vorsieht, dass die Schülerzahl nicht um mehr als 10 vom Hundert überschritten werden sollte, ist zu entnehmen, dass ein Überschreiten der 10%-Größe nur in Ausnahmefällen möglich sein soll. Nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (BüDrs 18/525 S. 11) lässt das so intendierte Ermessen für die Antragsgegnerin ein Überschreiten der Prozentgröße in Ausnahmefällen zu, soweit für die betroffenen Schülerinnen und Schüler der Klasse damit keine gravierenden Beeinträchtigungen verbunden sind.

Für die Eingangsklassen der Julius-Leber-Gesamtschule ergeben sich aus § 87 Abs. 1 HmbSG mithin drei Schülerzahlen für die Bemessung der Klassengröße: Als Basiszahl, ohne die die unterrichtliche Grundversorgung nicht gesichert ist, die Zahl der Basisfrequenz, nämlich 24 Schüler. Als Organisationsgröße für die Einrichtung von Eingangsklassen die Organisationsfrequenz von 26 Schülern sowie schließlich die Zahl von 29 Schülern, die nur in Ausnahmefällen überschritten werden soll, soweit für die betroffenen Schülerinnen und Schüler der Klasse damit keine gravierenden Beeinträchtigungen verbunden sind. Für die Beurteilung der Aufnahmefähigkeit der Schule und damit der Kapazitätserschöpfung im Sinne von § 42 Abs. 4 HmbSG ergibt sich daraus, dass weder das Erreichen der Basisfrequenz noch das Erreichen Organisationsfrequenz schon eine solche Erschöpfung der Aufnahmefähigkeit der jeweiligen Schule zur Folge hat. Von einem Überschreiten der Aufnahmefähigkeit, d.h. der Möglichkeit weitere Schüler regelmäßig an der Schule aufzunehmen, kann erst dann die Rede sein, wenn die Antragsgegnerin in das in § 87 Abs. 1 Satz 3 HmbSG intendierte Ermessen, nicht mehr als 10% mehr Schüler aufzunehmen als die Organisationsfrequenz vorsieht, zu beachten hat. Solange mithin die Grenze von 29 Schülern je Regelklasse der Jahrgangsstufe 5 durch die Aufnahme weiterer Schüler an der Julius-Leber-Schule nicht überschritten wird, ist die Kapazität der Schule nicht erschöpft, sodass es an einer Voraussetzung des § 42 Abs. 4 HmbSG dafür fehlt, weniger Schülerinnen und Schüler aufzunehmen. Dafür, dass aus anderen Gründen, etwa räumlichen Engpässen, die Aufnahmefähigkeit niedriger zu bemessen ist, ist nichts vorgetragen.

b) Ist nach alledem die Aufnahmefähigkeit der Julius-Leber-Gesamtschule in den Eingangsklassen 5 auch dann nicht überschritten, wenn die Tochter der Antragsteller dort aufgenommen wird, ist sie dort aufzunehmen. Die Antragsgegnerin hat auch mit der Beschwerde nichts dafür geltend gemacht, dass die Tochter der Antragsteller aus schulorganisatorischen Gründen in die gleiche Klasse einer gleichartigen Schule umzuschulen sei (§ 42 Abs. 4 Satz 4 HmbSG). Zu den schulorganisatorischen Maßnahmen gehören insbesondere die Errichtung, Schließung, Zusammenlegung, Umwandlung, Teilung und Verlegung von Schulen sowie die Festlegung, ob und wo Eingangsklassen für die verschiedenen Schulformen eingerichtet werden (Amtl. Begründung des 5. Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes § 87 HmbSG, BüDrs 18/1706 S. 14). Soweit die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass es kein subjektives Recht des Antragsteller dahin gebe, jede einzelne Klasse über die Organisationsfrequenz hinaus aufzufüllen, vermag der Senat diese Ansicht nicht zu teilen. Die Versagung der Aufnahme einer Schülerin oder eines Schülers in die Eingangsklasse einer Schule wird nach dem Wortlaut des § 42 Abs. 4 HmbSG nur dann ermöglicht, wenn die Aufnahmefähigkeit der Schule erschöpft ist. Ergibt sich nach dem oben Gesagten aus § 42 Abs. 4 HmbSG ein individueller Anspruch auf Aufnahme der Tochter der Antragsteller in die Eingangsklasse 5 der Julius-Leber-Gesamtschule, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Antragsgegnerin ihre Auswahlentscheidung im Übrigen ermessensfehlerfrei getroffen hat. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin ist die Aufnahmekapazität der Julius-Leber-Schule nicht erschöpft, so dass die Antragsteller einen der beiden noch freien Plätze für ihre Tochter beanspruchen können. Das Gebot effektiven Rechtschutzes rechtfertigt, nicht darauf abzustellen, ob die Tochter der Antragsteller nach den Auswahlkriterien der Antragsgegnerin einen Platz erhalten hätte, wenn diese die freien Plätze anderweitig vergeben hätte.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.



Ende der Entscheidung

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